Ursachen einer besonderen wirtschaftlichen Schwäche der Seebäder liegen z. T. in ihrer allgemeinen Entwicklung begründet.
GRÜNDUNGSZWECK:
Die Bedeutung des Meerwassers als Heilmittel war bereits im Altertum bekannt (s. Hippokrates).
Die Gründung der ersten Seebäder vollzog sich in England, wo sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus med.-wissenschaftlicher Erkenntnis der Bedeutung des Meerwassers und des Seeklimas unter
dem Einfluss der Ärzteschaft schon geeignete Küstenplätze zu Heilorten größeren Stils entwickelten. Dort besa8en die Seebäder bereits um 1750 höchste Popularität als Heilbäder.
Geistiger Begründer der deutschen Seebäder wurde der Göttinger Physiker und Philosoph Lichtenberg, der durch seine Studien in England den Heilwert und die Bedeutung der Seebäder für die
Volksgesundheit erkannte und schon im Jahre 1793 auch in Deutschland die Errichtung von Seebädern forderte. In die Tat umgesetzt wurde diese Forderung mit der Errichtung des 1. öffentlichen
Seebades "Ostseebad Doberan" unter der Leitung von Prof. Vogel, Rostock.
Die Zeit von 1800 – 1850 machte dann den geeigneten deutschen Küstenorten den Weg frei zu Heilbädern ersten Ranges. Auf Grund der erzielten Erfolge nahmen die deutschen Seebäder einen schnellen
Aufstieg.
Waren damals die Heilfaktoren einer exakten wissenschaftlichen Erkenntnis noch nicht voll erschlossen, so unter- mauerten Forschungsergebnisse der jüngsten Vergangenheit die früheren
Erkenntnisse, so dass – mittlerweile mehr eine nachträgliche Bestätigung – in den letzten Jahren auch eine staatliche Anerkennung der Seebäder als Heilbäder erfolgte.
Ursprünglicher Zweck der Gründung von Seebädern in Europa und an den deutschen Küsten war damit die Errichtung ausgesprochener Heilbäder.
KURMITTEL- HEILANZEIGEN UND AUFGABEN:
Zu den Kurmitteln und Heilanzeigen wird auf die als Anlage 1 beigefügte Zusammenstellung verwiesen.
Ergeben sich die allgemeinen' gesundheitlichen Aufgaben aus dieser Zusammenstellung, so fasst Prof. Dr. med Pfleiderer, Direktor des Instituts für Bioklimatologie und Meeresheilkunde der
Universität Kiel in Westerland, die besonderen volksgesundheitlichen Nachkriegsaufgaben der Seebäder in knapper Form, wie folgt, zusammen:
"Die Kriegsfolgen stellen die Seebäder vor ungeheure neue Aufgaben. Es gibt wenige Menschen in Deutschland, die nicht durch die Belastungen und Entbehrungen des Krieges und der Nachkriegszeit
durch Unterernährung und unhygienische Lebensweise an ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit Schaden erlitten haben und schwere Abnützungserscheinungen auf- weisen. Dem Heer dieser Menschen gilt
es, die nach gebliebenen Leiden zu heilen oder wenigstens zu lindern und die Spannkraft zu neuer Arbeit zu geben.
Hier liegen die dringendsten Aufgaben der Seebäder und auch die gro8artigsten Möglichkeiten."
AUFSTIEG UND FEHLENTWICKLUNG:
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war die Entwicklung der Seebäder stetig und planvoll, begünstigt durch die ersten überzeugenden Erfolge und durch den allgemeinen Wohlstand der
damaligen Zeit.
Grundlage dieses Aufstieges war das Heilbad.
Ein Verlassen dieser Existenzgrundlage erfolgte erstmalig um die Jahrhundertwende, als sich in der damaligen Vorkriegszeit die "Mode" der Seebäder bemächtigte und ihnen einen Ansturm
von "Badegästen" (nicht Kurgästen) brachte, der dazu führte, dass der Weg eines planvollen und zielbewussten Aufbaues auf der eigentlichen Existenzgrundlage des Heilbades verlassen wurde.
Ein spekulativer Geschäftssinn gab den Seebädern die Entwicklungsrichtung.
Die Bautätigkeit nahm durch die Erstellung von Hotels, Logierhäusern, Gaststätten und Kuranlagen einen bis dahin ungeahnten Aufschwung. Der Heilgedanke trat zurück. Die Seebäder wurden
zu internationalen Vergnügungs- und Unterhaltungsstätten für die oberen Gesellschaftsschichten aus Kunst, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft.
Diese Entwicklung fand zunächst durch den ersten Weltkrieg ein Ende. Nachkriegs-, Inflations-, und Nachinflationszeit brachten den Seebädern noch einmal eine kurze Scheinblüte, aber der
Heilgedanke trat nunmehr vollends zurück. Die Seebäder waren "mondän" geworden; Aber diese Scheinblüte konnte über die Folgen einer voraufgegangenen unorganischen und überstürzten Entwicklung
nicht hinwegtäuschen:
ein Überangebot an Beherbergungsmöglichkeiten und eine kurze Saison – durch eine abgeirrte Entwicklung in der Richtung von "Vergnügungsorten" und "Sommerfrischen" fast ausschließlich
auf die Monate Juli und August beschränkt – waren das Ergebnis. Den Beherbergungsstätten wurde es damals unmöglich, durch eine Verlängerung der Betriebszeit den zur Erhaltung ihrer Existenz
notwendigen Verdienst zu erzielen, obgleich die Frühjahrs- und Herbstkuren ärztlicherseits besonders stark empfohlen wurden.
Rechtzeitige Rückkehr zur eigentlichen und ursprünglichen Bestimmung der Seebäder hätte die daraus folgende wirtschaftliche Situation verhindern, zumindest mildern können. Sie erfolgte nicht. Die
Existenzgrundlage der Seebäder verschob sich weiterhin.
Diese Fehlentwicklung setzte sich auch in Westerland und in den übrigen Inselbädern fort, ohne da6 bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges nennenswerte Veränderungen eintraten. Unterstützt wurde
diese Entwicklung hier offenbar dadurch, dass man in dem "verwalteten" Bade diese veränderte Lage nicht erkannte oder erkennen wollte. Die Erkenntnis der Möglichkeit einer Verlängerung der
Betriebszeit (Saisonverlängerung) setzte sich nicht durch. Die Aussichtslosigkeit solcher Bemühungen wurde dadurch für erwiesen gehalten, da6 man sich um die Verlängerung, ohne jedoch die
Voraussetzungen hierfür zu schaffen, auch vorher bereits vergeblich bemüht habe.
Ein mit dieser Entwicklung allmählich einhergehender Verlust des Wissens um die volksgesundheitliche Bedeutung der Seebäder führte nach und nach zu fast völliger Abhängigkeit von der
"Hochsommer-Saison".
Beispiel:
Übernachtungen je Fremdenbett in Westerland:
1950
Mai...............4
Juni..............6
Juli.............16
August........26
September... 5
Gesamt.....57
1951
Mai...............2
Juni..............5
Juli.............19
August........23
September....5
Gesamt.....54
Diese durchschnittlichen Übernachtungszahlen legen die tatsächlich erfassten Fremdenbetten zugrunde, während unter Berücksichtigung von "Schwarzvermietern" die höchste
Anwesenheitsziffer gleich der Anzahl der vorhandenen Fremdenbetten zu setzen ist.
Dann entfallen in der Saison 1950 durchschnittlich 45 und in der Saison 1951 durchschnittlich 50 Übernachtungen auf jedes Fremdenbett – eine Belegung von reichlich 1 1/2 Monaten !
Verlängerung der Betriebszeit (Saisonverlängerung) ist nach der voraufgegangenen Entwicklung deshalb Angelpunkt eines wirtschaftlichen Wiederaufstiegs, der in einem planmä8igen Ausbau der
Einrichtungen des Bades in der Richtung des ursprünglichen Bestimmungszwecks der Seebäder angesetzt werden muss.
Fremdenverkehrsverein Westerland/Sylt e.V.
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